Jahrhundertelang fragte kaum ein Mensch danach, wie die Bibel entstanden sein könnte. Sie war einfach da. Erst mit der Aufklärung im 17. Jahrhundert kamen Fragen nach der Herkunft und dem Ursprung der Bibel auf. Im Rahmen der »historisch-kritischen Exegese« wurden bibelkritische Thesen eingeführt, die die Bibel unter rein materialistischen Gesichtspunkten werteten. Sie reduzierten die Bibel auf bloßen Beispielcharakter, ohne realistischen oder gar historischen Bezug. Personen, Orte und Ereignisse wurden nach und nach als unhistorisch erklärt. Dies ist bis heute die einzige von den theologischen Fakultäten anerkannte Art, an die Bibel heranzugehen.
Die Bibel selbst bezeugt von sich, dass ihre Inhalte von Gott einzelnen Menschen offenbart
wurden, die sie dann niederschrieben. Viele Christen sind hiervon überzeugt.
Es existieren also einfach gesagt zwei Sichtweisen. Die eine stellt die Bibel als
Menschenwerk dar, als ein im Laufe der Jahrhunderte entwickeltes literarisches Werk,
das in wechselseitiger Beziehung und Beeinflussung zu anderen antiken religiösen Schriften
und Vorstellungen steht. Gott wird dadurch zu einem Symbol für »das Gute«, er existiert
nur in der religiösen Vorstellungswelt.
Die andere geht davon aus, dass Gott eine real existierende Person ist, jedoch ohne
an Raum und Zeit gebunden zu sein. Er ist der Schöpfer der Welt und hat einen konkreten
Plan mit ihr, den er in der Geschichte verfolgt hat und noch heute verfolgt, und den
er Menschen, die für ihn offen sind, durch sein Wort mitteilt. Sein Wort, die Bibel,
ist wahr, während menschliches Forschen – dazu gehört auch die Theologie – dem Irrtum
unterliegen kann.
Die Evolutionstheorie soll nicht nur die Entstehung des Kosmos, der Tiere und des Menschen erklären, sondern auch die Religionsgeschichte Israels: Sie habe sich von primitiver Vielgötterei zum von den Priestern beherrschten Monotheismus (Lehre vom einen Gott) hochentwickelt. Vor diesem Hintergrund sei es unmöglich, dass z. B. Abraham bereits 2000 v. Chr. an einen einzigen Gott glaubte. So sprach man den biblischen Berichten jegliche Historizität ab. Entweder Abraham lebte später als es die Bibel bezeugt, oder es hat ihn nie gegeben.
Dieses Misstrauen der Bibel gegenüber führte dazu, dass außerbiblische Quellen bevorzugt
als wahr angesehen wurden. Widersprüche zur Bibel galten als Beweis für deren Unwahrheit
(oft ohne den Wahrheitsgehalt der anderen Literatur überprüfen zu können). Nur wenn
ein außerbiblischer Beweis für eine biblische Aussage gefunden wurde, akzeptierte
man diese!
1876–1878 formulierte Wellhausen die Quellenscheidungstheorie zu den fünf Büchern
Mose. Diese seien nicht, wie es die Bibel durchgehend bezeugt, von Mose geschrieben,
sondern aus verschiedenen Quellen nach und nach zusammengesetzt worden, die man anhand
verschiedener Gottesnamen unterscheiden könne. Diese Theorie ist mittlerweile von
vielen Forschern angezweifelt bzw. in etliche Widersprüche geraten. Dennoch wird dies
im Religionsunterricht als wissenschaftliches Ergebnis präsentiert.
Auch die drei ersten Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) wurden einer Quellenscheidung
unterzogen. Man nennt sie die »Synoptiker«, weil sie ein übereinstimmendes Bild über
das Leben Jesu abgeben. Darum nimmt man an, diese Evangelien seien voneinander abhängig.
Matthäus und Lukas hätten von Markus abgeschrieben und dabei jeweils eigene »Sonderquellen«
benutzt.
Schließlich wurde das Leben Jesu selbst unter die Lupe genommen. Man nahm an, dass
die Evangelien ein verdrehtes Bild des wahren, historischen Jesus lieferten und eher
eine mythische Erzählung seiner Jünger seien. Der wahre Jesus sei ein einfacher jüdischer
Prediger gewesen. Erst Paulus habe aus den Erzählungen um Jesus eine Erlösungslehre
gemacht.
Im 20. Jahrhundert begann die »Formkritik«. Ihr Ziel war es, festzustellen, was historisch
ist und was mystizierend ergänzt wurde. Auf diesem Gebiet arbeitete insbesondere Rudolf
Bultmann. Sein Ziel war es, die Evangelien zu »entmythologisieren«, also die mythologischen
Elemente des 1. Jahrhunderts n. Chr. zu entfernen, damit der wahre, historische Kern
der Evangelien zu Tage tritt. Alles, was der Prüfung durch die moderne Wissenschaft
nicht standhalten konnte, wurde entfernt.
Bultmann kam zu dem Schluss, dass fast die gesamten Evangelien unhistorisch seien.
Lediglich, dass Jesus lebte und am Kreuz starb, sei authentisch. Alles andere – seine
Wunder, die prophetischen Aussagen, Gesetze, Vorschriften und die Gleichnisse – sei
das Ergebnis der Theologie phantasiereicher Gemeinden des 1. Jahrhunderts.