»Wenn es jemals wieder einen Staat Israel gibt, lasse ich mich beschneiden!«, soll selbst Martin Luther über Bibelstellen geurteilt haben, die die Neuentstehung Israels vorhersagten. Dennoch: Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Vorbereitungen für die Geburt des neuen Staates: Eliezer Ben Yehuda belebte das Hebräische von Neuem und machte es zur Alltagssprache und Theodor Herzl begründete den Zionismus.
»Zion« heißt ein Hügel in Jerusalem und der Name ist gleichzeitig das biblische Synonym für diese Stadt. Seit Jahrhunderten beenden die Juden das Passahfest mit dem sehnsuchtsvollen Ausspruch: »Nächstes Jahr in Jerusalem.« Auf Zion – auf Jerusalem – zentrierte sich das Denken, wenn die Juden 2000 Jahre lang von ihrer Rückkehr träumten. Die Bezeichnung »Zionismus« umfasst die Bewegung, die dem jüdischen Volk die Rückkehr in die Heimat ermöglichte. Dem zionistischen Denken liegt die Erkenntnis zugrunde, dass jüdisches Leben außerhalb des Landes Israel ein Leben im Exil ist.
Die Idee des Zionismus ist keine Erfindung der Neuzeit. Vielmehr basiert sie auf der langen Geschichte zwischen dem jüdischen Volk und seinem Land, einer Verbindung, die vor mehr als 4000 Jahren begann. In der Bibel ist zu lesen: »Wenn ich das Haus Israel aus den Völkern sammle, unter die sie zerstreut worden sind, und ich mich an ihnen vor den Augen der Nationen als heilig erweise, dann werden sie in ihrem Land wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe.« (Hesekiel 28,25)
Während der Jahrhunderte in der Diaspora hielten Juden eine feste und einzigartige Beziehung zu ihrer historischen Heimat aufrecht und bekundeten ihre Sehnsucht nach Zion in religiösen Zeremonien und in der Literatur.
Juden sind angehalten, sich während des Gebets nach Osten zu wenden: in Richtung Israel. Im Morgengottesdienst heißt es »Bringe uns in Frieden heim von den vier Enden der Erde und führe uns aufrecht in unser Land.«
Die Betenden wiederholen mehrmals »Gelobt seist du, Ewiger, der du Jerusalem erbaust« und »Gesegnet seist du, Ewiger, der seine Majestät nach Zion zurückbringt«. Zum Segen nach den Mahlzeiten gehört ein Segensspruch, der mit einem Gebet für den Wiederaufbau »Jerusalems, der Heiligen Stadt, rasch und in unseren Tagen« endet. Während der Hochzeitszeremonie erhebt der Bräutigam »Jerusalem zu unserer höchsten Freude«. Bei einer Beschneidung werden die Psalmworte »Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte« gesprochen. Am Passafest wünscht man sich: »Nächstes Jahr in Jerusalem!«
Der Zionismus bringt die historische Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel zum Ausdruck. Die im 19. Jahrhundert beginnende Bewegung ist sicher auch als eine Folge jahrhundertelanger Verfolgung in nahezu allen europäischen Ländern zu verstehen.
Eigentlich brachte die Aufklärung in Europa eine spürbare Verbesserung für die jüdische Bevölkerung. Es war mehr und mehr möglich, auch als Jude ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Juden erhielten Staatsposten, wurden Wissenschaftler und gründeten eigene Hochschulen. Viele gingen zur Armee und nahmen an der Seite ihrer jeweiligen Landsleute am Ersten Weltkrieg teil.
Zu keiner Zeit war die Assimilation so weit fortgeschritten wie im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts. Nur selten war Antisemitismus in der Gesellschaft nur so latent vorhanden wie in diesen Jahren. Juden wie Karl Marx (Begründer des Kommunismus), Felix Mendelssohn-Bartholdy (Komponist), Max Liebermann (Maler), Heinrich Heine (Schriftsteller), André Citroën (Automobilproduzent), Paul Ehrlich (Chemiker und Arzt) und Albert Einstein (Physiker) prägten Politik, Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft.
Doch am Beispiel Deutschlands ist zu sehen, wie schnell sich das Blatt wenden konnte: 31.000 jüdische Soldaten verdienten sich durch ihre Tapferkeit in der deutschen Armee das Eiserne Kreuz – nicht wenige davon starben während des Zweiten Weltkriegs in deutschen Konzentrationslagern.
Das krisengeschüttelte, revolutionäre und extrem antisemitische Russland hingegen brachte schon am Anfang des 20. Jahrhunderts die erste jüdische Auswanderungswelle ins damalige Palästina hervor.
Die zionistische Bewegung sah einen jüdischen Staat im Land Israel als einzige Lösung der »Judenfrage« und wollte einer heimatlosen Gemeinschaft, die immer wieder in aller Welt als Fremdkörper diskriminiert wurde, die Rückkehr in das historische Land ermöglichen. Der Zionismus strebte nach Einheit durch die Sammlung der im Exil lebenden Juden aus allen Ländern in der jüdischen Heimat.
Theodor Herzl, ein Wiener Jude, machte die jahrhundertealte passive religiöse Sehnsucht zu einer aktiven politischen Bewegung, als er 1896 seine Schrift »Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage« veröffentlichte. Darin analysierte er die Umstände, die in den vergangenen Jahrhunderten wieder und wieder zu Judenverfolgungen führten, und die Ursachen des Judenhasses. Er kam zu dem Schluss, dass die Juden nur in einem eigenen Land sicher sein könnten. Bestärkt wurde er darin insbesondere durch die Dreyfus-Affäre während seiner Zeit als Korrespondent der Wiener Zeitung »Neue Freie Presse« in Paris.
Der französische Hauptmann Alfons Dreyfus wurde beschuldigt, geheime militärische Informationen an Deutschland weitergegeben zu haben. Weil er Jude war, wurde dieser Prozess über die Maßen hochgespielt. Als Folge trieben antisemitische Ausschreitungen schlimme Blüten. Dreyfus wurde zu lebenslanger Haft auf der Teufelsinsel in Südamerika verurteilt. Seine Unschuld stellte sich erst Jahre später heraus
Ein erster »Zionistenkongress« fand in Basel statt. Vom 29. bis 31. August 1897 nahmen 197 Repräsentanten aus 17 Staaten an dieser Versammlung von Diaspora-Juden teil. Herzl hielt die Eröffnungsrede. Es schlossen sich Vorträge und Diskussionen über die Situation der Juden in der Welt, das Land Israel und die dortigen Siedlungsaktivitäten an. Ausführlich debattierten die Teilnehmer, um schließlich das Basler Programms zu formulieren.
Dem Basler Programm zufolge erstrebte der Zionismus »Für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina«.
Theodor Herzl schrieb damals in sein Tagebuch: »Fasse ich den Baseler Kongress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sage, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.«
Während des Kongresses gründeten die Delegierten die World Zionist Organization, zu deren Präsident Theodor Herzl berufen wurde. Schließlich wählte man noch eine Flagge und bestimmte das Lied »Hatikva« (»Hoffnung«) zur Nationalhymne.
Von der Hoffnung dieser Bewegung erfüllt, begann der Zustrom tausender Juden in den
zu dieser Zeit spärlich bevölkerten und vernachlässigten Teil des Osmanischen Reichs.
Diese frühen Pioniere legten Sumpfland trocken, machten wüste Landstriche urbar, forsteten
die kahlen Hänge auf, gründeten Fabriken und errichteten Städte und Dörfer.
Unterstützung erhielten die Siedler vom französischen Bankier Baron Edmond de Rothschild.
Er ermöglichte die Gründung der ersten Siedlungen durch großzügige finanzielle Unterstützung.
Sein Interesse galt jedoch hauptsächlich der Besiedlung und Urbarmachung des »Landes
der Väter«, wie die Juden Palästina nannten. Vom Zionismus mit seiner Idee eines jüdischen
Staates hielt Rothschild nichts. Im Gegenteil: Wer sich durch zionistische Aktivitäten
in Palästina in Schwierigkeiten mit der türkischen Regierung brachte, konnte auf seine
Hilfe nicht mehr zählen.
Palästina war damals dünn besiedelt, die dort lebenden Araber waren unpolitisch, den später aufkommenden Nationalismus gab es noch nicht. Die Neueinwanderer hielten die arabische Bevölkerung nicht für ein Hindernis bei der Verwirklichung des zionistischen Traums.
Während der ersten Jahrzehnte stieg allerdings der Widerstand gegen eine jüdische Präsenz im islamischen Herrschaftsgebiet. So kam es zu den ersten Zusammenstößen, die bis heute im Nahostkonflikt andauern.
Dennoch ist der Zionismus auch über 100 Jahre nach Herzl noch nicht ans Ziel gekommen: Seit 1948 hat der Zionismus seine Aufgabe darin gesehen, die »Sammlung aus dem Exil« weiterhin zu unterstützen. Doch auch heute leben noch weniger als die Hälfte aller Juden in Israel, dem einzigen jüdischen Staat der Welt.
Im Ersten Weltkrieg, als Briten und Franzosen gegen die Türken um die Vormachtstellung im Nahen Osten kämpften, versprach der britische Hochkommissar in Ägypten 1915 die Errichtung eines unabhängigen Großarabischen Reiches in Palästina, falls man die Türken besiegen würde.
Doch schon ein Jahr später vereinbarten der britische und der französische Unterhändler Sykes und Picot in dem nach ihnen benannten Abkommen, den Nahen Osten zwischen England und Frankreich nach Interessenssphären aufzuteilen. Palästina sollte internationalisiert werden.
Den heimkehrenden Juden kam ein außergewöhnlicher Handel zu Hilfe, schneller ihr ersehntes Land zugesprochen zu bekommen: Während des Krieges mangelte es Großbritannien an Aceton, einem Mittel, das zur Munitionsherstellung benötigt wurde. Dr. Chaim Weizmann, der Direktor des chemischen Laboratoriums der britischen Kriegsmarine und Sprecher der zionistischen Bewegung in England, entwickelte ein neues Verfahren zur Herstellung von Aceton und löste somit das Problem.
Zum Dank versprach ihm 1917 der damalige britische Außenminister James Balfour die Schaffung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina und sagte dies Baron Rothschild, der die zionistische Bewegung wie kein anderer finanziell unterstützte, schriftlich zu. Diese Erklärung wurde am 3. Januar 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz vom arabischen Delegierten Emir Feisal anerkannt. Sie lautet:
»Lieber Lord Rothschild,
ich habe die große Freude, Ihnen im Namen der Regierung Seiner Majestät die folgende Erklärung unserer Sympathie mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln, eine Erklärung, die dem Kabinett vorgelegen hat und gutgeheißen worden ist:
Die Regierung Seiner Majestät beobachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Möglichstes tun, dieses Vorhaben zu fördern, wobei allerdings klarzustellen ist, dass nichts unternommen werden darf, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinden in Palästina oder die Rechte und den politischen Status von Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklärung der Zionistischen Vereinigung zur Kenntnis bringen könnten.
Ihr ergebener
Arthur James Balfour«
In Anerkennung der historischen Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Land Israel hat der Völkerbund 1922 Großbritannien das Mandat für Palästina übertragen. Ziel war, die politischen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen herzustellen, um eine nationalen jüdische Heimstätte zu errichten.
Aus Machtinteressen brachen die Briten allerdings schnell ihr Versprechen, das ganze Mandatsgebiet Palästina an die Juden zu geben. 1922 trennte Churchill das Gebiet östlich des Jordans ab und gab es König Abdullah, der dort das autonome Emirat Transjordanien, das heutige Jordanien, errichtete. Für die Juden blieben somit nur noch 23 Prozent des ursprünglichen Gebiets übrig.
Dennoch kamen mehr und mehr Einwanderer ins Land und begannen, es zu bebauen. Tel Aviv (»Frühlingshügel«) wurde 1909 als erste jüdische Stadt der Neuzeit gegründet. Gleichzeitig kamen auch Araber ins Land, die am Aufblühen des Landes teilhaben wollten. Sie hatten zunächst wie die Juden ein friedliches Zusammenleben und Handelsbeziehungen im Sinn.
Das änderte sich jedoch schnell: In den 1920er und 1930er Jahren kam es immer wieder zu Zusammenstößen, nachdem zum Schutz der jüdischen Siedlungen vor arabischen Überfällen die jüdische Untergrundorganisation »Haganah« gegründet worden war.
Man hört immer wieder den Vorwurf, die frühen Pioniere des Zionismus hätten einfache Araber um wertvolles, fruchtbares Land betrogen. Von Einzelfällen abgesehen bestand Palästina zur Jahrhundertwende aber größtenteils aus trockener Wüste und kargem Boden, teilweise sogar aus malariaverseuchtem Sumpfgebiet. Die Verkäufer dieser Ländereien lebten zudem nicht in Palästina, sondern meist weit außerhalb, in Damaskus oder Kairo. Sie verkauften das Land in der Erwartung, dass die Juden dort ohnehin wie die Fliegen wegsterben würden, sodass sie das Land zurückerhalten würden.
1929 richteten Araber ein Massaker an der jüdischen Bevölkerung Hebrons an und verjagten die Überlebenden aus der Stadt. Ein bewaffneter arabischer Aufstand in den Jahren 1936 bis 1939 gegen die Engländer erregte große internationale Aufmerksamkeit für den Konflikt und führte schließlich – auch vor dem Hintergrund des aufziehenden Zweiten Weltkriegs – zu politischen Zugeständnissen der Briten gegenüber der arabischen Seite, obwohl zuvor rund 3000 Juden als Hilfspolizei (»Notrim«) gegen den Aufstand mitgekämpft hatten.
Mit dem »Britischen Weißbuch« begrenzte Großbritannien 1939 die jüdische Einwanderung auf 75.000 Personen innerhalb der folgenden fünf Jahre. Danach sollte ohne arabische Zustimmung keine weitere Einwanderung mehr stattfinden. So wurde den vor Hitler fliehenden Juden und den Überlebenden des Holocaust in der Stunde der größten Not jegliche Hilfe versagt. Dennoch konnten weitere 100.000 Juden mit Unterstützung der Haganah »illegal« ins Land geschleust werden.